Neubrandenburg
Mittelalter meets Plattenbau
Neubrandenburgs Schicksal entschied sich im April 1945, als die Stadt zur Festung erklärt wurde. Innerhalb weniger Stunden war im Verlaufe der Kriegsfronthandlungen der historische Stadtkern zu 84 Prozent zerstört. Der in Neubrandenburg ansässige Architekt Heinrich Tessonow präsentierte schon 1946/47 erste Wiederaufbaupläne, die jedoch nicht verwirklicht wurden. Erst 1952 erfolgte die Grundsteinlegung zum Wiederaufbau, gleichzeitig mit der Ernennung Neubrandenburgs zur Bezirksstadt und der Ansiedelung großer Industriebetriebe. Die landwirtschaftlich geprägte Kleinstadt stieg damit in den Rang eines politischen Zentrums der DDR auf.
-
Wohngebiet Behmenstraße/Ecke Pfaffenstraße, Neubrandenburg. 1984/85 errichtet, als Teil des Projekts zur Ergänzung von zwei Quartieren in der Neubrandenburger Innenstadt. Die Bebauung in Plattenbauweise folgt dem historischen Straßenverlauf. Foto: Martin Maleschka -
Pfaffenstraße, Neubrandenburg. Im Hintergrund ein sogenanntes Wiekhaus in der mittelalterlichen Stadtmauer. Foto: Martin Maleschka -
Behmenstraße/Ecke Pfaffenstraße. Funktionsunterlagerung im Erdgeschoss der innerstädtischen Plattenbauten mit historisierende Details. Foto: Martin Maleschka -
Neutorstraße, Neubrandenburg. In eine Baulücke eingefügtes Wohngebäude in Plattenbauweise. Foto: Martin Maleschka -
Neutorstraße, Neubrandenburg. Durch gleiche Bauhöhe, sowie die Ausbildung von Sockelgeschoss, Gesims und Mansarddach passt sich der Plattenbau an die bestehende Bebauung an. Foto: Martin Maleschka -
Neutorstraße, Neubrandenburg. Detail Platte neben Altbau. Foto: Martin Maleschka
Mittelalterlicher Stadtkern
Bereits in den 1950er Jahren wurde die Bebauung innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern weitgehend wieder hergestellt, damals noch in monolithischer Bauweise. Das schachbrettartige, mittelalterliche Straßenraster konnte beibehalten werden. Die vier Stadttore, sowie zahlreiche Wiekhäuser innerhalb der Stadtmauer wurden in den 1970er Jahren rekonstruiert. Ab 1984 plante das Kollektiv Iris Dullin-Grund und Günther Gisder die Ergänzung für zwei Wohnquartiere im Stadtkern in Plattenbauweise und schafften damit rund 200 neue Wohnungen im Zentrum. Im Vergleich zu Städten wie Greifswald oder Rostock war das ein eher kleines Projekt innerstädtischen Plattenbaus. Mit differenzierten Straßenräumen und Wohnhöfen passen sich die Neubauten an die historische Stadtstruktur an.
-
Haus der Kultur und Bildung. 15-geschossiger Turm, 1963/64 nach Plänen der Architektin Iris Dullin-Grund an der Nordseite des Karl-Marz-Platzes, heute wieder Marktplatz genannt, errichtet. Nach Sanierung und Umbau 2015 wiedereröffnet, jetzt mit übergroßem Vordach, das nicht Teil des ursprünglichen Entwurfes war. Im Hintergrund die östliche Platzseite etwa gleichzeitig im Stil der nordischen Renaissance errichtet. Foto: Martin Maleschka -
Haus der Kultur und Bildung (HKB) im Zentrum Neubrandenburgs, auch „Kulturfinger“ genannt. Foto: Martin Maleschka -
Hotel „Vier Tore“, Hauptfassade an der Südseite des ehemaligen Marktplatzes. Neubau 1969-72, errichtet nach Entwürfen von D. Perczel und G. Domokos. Monolithischer Stahlbetonbau kombiniert mit Elementen der WBS 70. Zum Abriss freigegeben, soll durch ein Einkaufzentrum ersetzt werden (Stand 01/2017). Foto: Martin Maleschka -
Das Fassadenrelief „Vier Tore“ über dem Haupteingang des Hotels zeigt die vier mittelalterlichen Neubrandenburger Stadttore. Es wurde von Gerd Werner gestaltet und soll laut Denkmalpflege vor dem Abriss des Hotels abmontiert und an anderer Stelle wieder angebracht werden. Foto: Martin Maleschka -
Waagestraße 2, Rückseite des Hotels „Vier Tore“ mit Formsteinkunst. Foto: Martin Maleschka -
Detail Hotel „Vier Tore“: Dieses Fassadenrelief wird zusammen mit dem Hotel abgerissen werden. Foto: Martin Maleschka -
1969 als Stadthalle für Neubrandenburg vom Architekten Ulrich Müther zusammen mit Karl Kraus und Kurt Ihloff entworfene Schalenkonstruktion. Im Kulturpark am Tollensesee gelegen. Die Veranstaltungshalle wird heute noch als solche genutzt und steht unter Denkmalschutz. Foto: Martin Maleschka
Gestaltung Karl-Marx-Platz
Zu DDR-Zeiten als Karl-Marx-Platz entworfen, heißt der Neubrandenburger Marktplatz heute wieder Marktplatz. In den 1960er Jahren erhielt die Platzanlage ihre endgültige Gestaltung. Die Bebauung auf der Ostseite des Platzes fand Anfang der 1960er Jahre ihren Abschluss als viergeschossiges Gebäude im Stil der nordischen Renaissance. Die vertikale Dominante auf der Nordseite des Platzes bildet der sogenannte Kulturfinger. Nach mehreren Wettbewerben in der 1950er Jahren, deren Ergebnisse allesamt verworfen wurden, gewann Iris Dullin-Grund 1960 den Wettbewerb für ein „Haus der Bildung und Kultur“ mit dem Ensemble aus einem Turm und einem angegliederten Flachbau. Die junge Architektin war damals in Berlin im Entwurfsbüro von Hermann Henselmann tätig. Zehn Jahre später wurde sie Stadtarchitektin Neubrandenburgs und behielt diese Position bis zur Wende. Gegenüber, auf der Südseite, nahm das Hotel „Vier Tore“ die gesamte Platzfront ein. Bereits 1955 bis 1957 wurde der erste Bauabschnitt als Ziegelbau mit Steildach errichtet. 1969 bis 1972 folgte der Neubau als viergeschossiger Betonbau in monolithischer Bauweise kombiniert mit Elementen der WBS 70. Im September 2016 begannen die Abrissbagger ihr Werk an dem einhundert Meter langen Bau. Das renommierte Hotel in bester Lage muss einem Einkaufszentrum weichen.
-
Neustrelitzer Straße, Neubrandenburg. Als „Wohnbebauung Leninstraße“ konzipiert, 1968 bis 1970 umgesetzt. Entwurf von Günther Gisder und W. Abraham, Freiflächen von Eberhard Spilker. 11-geschossige Wohngebäude mit insgesamt 720 Wohnungen in Plattenbauweise. Foto: Martin Maleschka -
Einsteinstraße 3, Neubrandenburg-Oststadt. Von 1970 bis 1980 wurden im Neubaugebiet Oststadt insgesamt 8.000 Wohnungen errichtet. Heute stark rückgebaut. Diese Gebäude bilden den nördlichen Abschluss. Foto: Martin Maleschka -
Einsteinstraße 21, Neubrandenburg-Oststadt. Ansicht derselben Anlage von Süden aus. Foto: Martin Maleschka -
Ziolkowskistraße, Neubrandenburg-Oststadt. Die Oststadt galt als Experimentierfeld des industriellen Bauens für Neubrandenburg. Foto: Martin Maleschka -
Koszaliner Straße, Neubrandenburg-Oststadt. Die Plattenbauserie WBS 70 wurde in Neubrandenburg entwickelt. Der Prototyp der Wohnbauserie in der Koszaliner Straße steht seit 1984 unter Denkmalschutz und ist heute ein Museum. Foto: Martin Maleschka -
Blick von Marktplatz in Richtung Wohngebiet Datzeberg. Hier wurden in der Zeit von 1976 bis 1981 rund 3.000 Wohnungen gebaut. Die 5-geschossige Bebauung in geschlossenen, geschwungenen Linien folgt dem Geländeverlauf. Akzente durch Punkthochhäuser. Heute stark rückgebaut, immer noch im Prozess, u.a. Rückbau von 5-Geschossern zu 3-Geschossern. Foto: Martin Maleschka -
Kirschenallee 3, Neubrandenburg-Lindenberg. Wohngebiet im Süden der Stadt mit 1032 Wohnungen, 1975/76 nach Entwürfen von Iris Dullin-Grund, Günther Gisder und Eberhard Spilker errichtet. Durch die natürliche Geländeausnutzung haben viele Wohnungen Aussicht auf die Tollenselandschaft. Foto: Martin Maleschka -
Wohngebiet Südstadt, Eigenheimidyll vor Großwohnanlagen. Foto: Martin Maleschka -
Katharinenstraße, Neubrandenburg-Katharinenviertel. Die ursprüngliche Gestaltung der WBS 70 war schlicht, viel Waschbeton mit wenigen farblichen Akzenten aus Spaltkeramik. Foto: Martin Maleschka -
Verwaltungsgebäude am Friedrich-Engels-Ring, Neubrandenburg, 1966/67. Foto: Martin Maleschka
Wohnen außerhab der Stadtmauern
Nach Ansiedelung großer Industriebetriebe im Neubrandenburg der Nachkriegszeit, stieg die Einwohnerzahl rasant. Die Ausfallstraßen säumten bald Elfgeschosser und ab 1970 entstanden auf den die Stadt umgebenden Hochflächen Neubaugebiete im großen Stil. Die Oststadt mit insgesamt 8.000 Wohnungen, in drei Bauabschnitten errichtet, wurde in den 1970er Jahren zum Experimentierfeld des industriellen Bauens. Hier steht heute noch der Prototyp der republikweit verwendeten Plattenbauserie WBS 70, die im Neubrandenburger Wohnungsbaukombinat entwickelt wurde. Im Süden entstand 1975/76 das eher kleine Wohngebiet Lindenberg nahe dem Kulturpark mit 1032 Wohnungen. Durch die Ausnutzung der natürlichen Geländestruktur habe viele Lindenberger das Privileg einer grandioser Aussicht über die Tollenselandschaft. Im Norden kam 1976 das Wohngebiet „Auf dem Datzeberg“ hinzu, eine Trutzburg auf der Anhöhe, akzentuiert mit Elfgeschossern. Datzeberg erhielt 3.000 Wohnungen. Ende der 1970er Jahre wurden die Gebiete um die Ausfallstraßen herum verdichtet: das Wohngebiet Leninstraße mit 1.000, sowie das Katharinenviertel mit 900 Wohnungen. Nach der Wende wurde in fast allen Wohngebieten massiv zurückgebaut, teils durch Komplettabriss von Gebäuden, teils durch Rückbau einzelner Geschosse. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen (Stand Januar 2017).
-
Neustrelitzer Straße 7B, Neubrandenburg. Betonskulptur Elefant für Kinderspaß. Foto: Martin Maleschka -
Geschwister-Scholl-Straße 14, Neubrandenburg-Südstadt. Relief mit sozialistischen Motiven. Foto: Martin Maleschka -
Geschwister-Scholl-Straße 14, Neubrandenburg-Südstadt. Detail Relief. Foto: Martin Maleschka -
2. Ringstraße, Neubrandenburg. Relief Mutter mit Kindern, rechts im Bild ein Wiekhaus in der mittelalterlichen Stadtmauer. Foto: Martin Maleschka -
Wandbild im Stadtarchiv Neubrandenburg. Kaseintechnik, früher im Theatercafe. Foto: Martin Maleschka -
Spielplatzgeräte im Kulturpark nahe der Stadthalle. Foto: Martin Maleschka -
Spielplatzgeräte im Kulturpark nahe der Stadthalle. Foto: Martin Maleschka -
Diese Keramikarbeit war etwa vier Jahre lang eingelagert. Davor war sie ebenso am Haupteingang einer schule angebracht, die allerdings abgerissen wurde. Heute am Neubau der Grundschule Lindetal. Foto: Martin Maleschka -
Detail Keramikarbeit am Neubau der Grundschule Lindetal. Foto: Martin Maleschka -
Gestaltung mit Spaltklinker im Wohngebiet am Datzeberg. Foto: Martin Maleschka
Kunst am Bau
-
Spielplatz mit Elefantenrutsche in Neubrandenburg-Oststadt, aufgenommen am 19. März 1974. Foto: Bundesarchiv, Benno Bartocha -
Neubaugebiet Neubrandenburg-Ost, seit Baubeginn 1970 wurden hier Wohnungen für 27.000 Menschen geschaffen. Aufgenommen am 15. Juni 1979. Foto: Bundesarchiv, Benno Bartocha -
Leninstraße in Neubrandenburg am 2. November 1971. Foto: Bundesarchiv, Benno Bartocha -
Haus der Kultur und Bildung (HKB) und Kulturfinger im Neubrandenburger Zentrum: hier sieht man den ursprünglichen Entwurf ohne das riesige Vordach, das nach der Wende hinzugefügt wurde. IM Hintergrund Wohngebäude im Stil der nordischen Renaissance von 1960. Ansichtskarte aus dem Jahr 1974 -
Hotel „Vier Tore“ im Zentrum Neubrandenburgs, mit Elementen der WBS 70 errichtet. Fassadengestaltung mit reliefierten Betonformsteinen, über dem Haupteingang Relief „Vier Tore“ von Gerd Werner. Hinten links das ehemalige Zentrum Warenhaus. Ansichtskarte aus dem Jahr 1977 -
Theatercafé im Haus der Kultur und Bildung im Jahr 1965, Wandbild in Kaseintechnik. Foto: Bundesarchiv, Benno Bartocha