Rostocker Altstadt
Hanseatisches aus Platten
Idyllische Plattenbauten – gibt es so etwas überhaupt? Im Fall Rostocks gibt es das: Wohngebäude aus Fertigteilen bilden die kleinteilige Struktur der nördlichen Altstadt und sind bei den Rostockern auch nach 1989 beliebt geblieben.
Jahrelang lag das Gebiet zwischen Stadthafen und Universität jedoch brach. Bomben zerstörten im zweiten Weltkrieg die nördliche Rostocker Altstadt stark. Stalinistische Prachtbauten entlang der neuen Magistrale (die heute wieder Lange Straße heißt), gebaut in den 1950er Jahren, kappten mehrere historische Straßenverbindungen hin zum Hafen. Der Blick zum Wasser wurde dadurch verbaut. Außerdem nutzte die sowjetische Armee den Hafen als Umschlagplatz, wodurch er für die Bewohner Rostocks in der Nachkriegszeit quasi zur Sperrzone wurde.
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Nördliche Altstadt Rostock, Plattenbauten der Serie WBR 83 in hanseatischem Stil, im Hintergrund Backsteinbauten in der Langen Straße, erbaut in den 1950er Jahren. Foto: Anja Thompson -
Schnickmannstraße, nördliche Altstadt Rostock, drei giebelständige Wohnhäuser als scheinbar eigenständige Baukörper ausgebildet, die niedrigeren Verbindungsbauten sind zurückgesetzt. Ausführender Betrieb war das VEB Wohnungskombinat Rostock, Kombinatsbetrieb 3. Foto: Anja Thompson -
Auf der Huder, nördliche Rostocker Altstadt: Giebel- und traufständige Häuser im Wechsel, die niedrigeren Verbindungsbauten sind zurückgesetzt. Die Rostocker Stadtplaner, die zwischen 1945 und 1989 tätig waren, respektierten größtenteils die gewachsene Stadtstruktur, sie krempelten die Innenstadt niemals grundlegend um. Foto: Sabine Schneller -
Auf der Huder, nördliche Rostocker Altstadt, Detail eines Hauseingangs. Foto: Sabine Schneller -
Auf der Huder, nördliche Rostocker Altstadt, Detail der Fassadengestaltung mit glasierten Fliesen und Backsteinelementen, sowie Varianten bei den Fensterformaten. Foto: Sabine Schneller -
Rückansicht der Häuser auf der Westseite der Schnickmannstraße: der gleiche Bautyp, diesmal fünfgeschossig, Variante in der Fassadengestaltung. Foto: Anja Thompson
Nachempfundenes Altstadtflair
Anfang der 1980er Jahre, nachdem im Norden von Rostock bereits riesige, neue Wohngebiete entstanden waren, richteten die Stadtplaner ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Innenstadt. Sanierung, Rekonstruktion und Neubau im historischen Kontext waren die Top-Themen des Jahrzehnts. Viele der Altbauten in der nördlichen Altstadt waren allerdings inzwischen abgerissen worden, nachdem man das Gebiet jahrzehntelang sich selbst überlassen hatte.
Zwischen und neben einzelnen, erhalten gebliebenen Altbauten, planten und bauten Rostocker Architekten ab 1984 mehrgeschossige Wohngebäude als Plattenbauten in hanseatischem Stil. In kleinen Quartieren mit insgesamt mehr als 600 Wohneinheiten gestalteten die Planer des Kollektivs von Oberingenieur Erich Kaufmann die neuen Wohnbauten in Anlehnung an die historische Stadtstruktur, ohne diese jedoch zu rekonstruieren. Trotz der neuen Architektursprache knüpften sie durch den Einsatz von Fassadenmaterialien, wie Spaltklinker und weißem Putz an die Rostocker Architekturtradition an.
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Die folgende Bilderreihe zeigt die Nördliche Rostocker Altstadt kurz vor der Wende, alle Farbfotos wurden am 26. März 1989 aufgenommen. Hier die Fußgängerzone mit künstlerisch gestaltetem Wasserlauf und Blick auf die Warnow in der Schnickmannstraße, modifizierte Plattenbauweise. Foto: Mischkolino -
Nochmal Schnickmannstraße am 26. März 1989, im Vordergrund die Skulptur "Quelle", 1988 von Karl-Heinz Appelt gefertigt. Rechts im Bild einer der wenigen erhaltenen und restaurierten Altbauten: der Wittespeicher aus dem späten 18. Jahrhundert, der damals Teil einer chemischen Fabrik war. Foto: Mischkolino -
Schnickmannstraße am 26. März 1989, Blick Richtung Süden, am Ende der Straße sind die stalinistischen Bauten in der Lange Straße zu sehen. Foto: Mischkolino -
Rostock, nördliche Altstadt in der Aalstecherstraße am 26. März 1989. Varianten in der Fassadengestaltung der Plattenbauten mit Backsteinelementen, Fliesen und Putz. Durch niedrigere, zurückgesetzte Bauteile erzeugten die Architekten den Eindruck, dass es sich um freistehende Einzelhäuser handelt. Foto: Mischkolino -
Rostock, nördliche Altstadt, Beim Hornschen Hof mit Blick in Richtung Schnickmannstraße am 26. März 1989. Der Wechsel zwischen Trauf- und Giebelstellung, unterschiedliche Gebäudehöhen und das Bauen entlang des bestehenden Straßenverlaufs zeichnen dieses Plattenbauensemble aus. Rechts im Bild der sogenannte Hornsche Hof. Er wurde um 1600 als Adelspalais errichtet und im späten 18. Jahrhundert zum Speicher umgebaut und erweitert. Seit 2013 befinden sich Wohnungen in dem sanierten Ensemble. Foto: Mischkolino -
Rostock, nördliche Altstadt, wahrscheinlich Badstüber Straße, neu errichteter Plattenbau und Platzanlage neben unsaniertem Speichergebäude am 26. März 1989. Foto: Mischkolino -
Rostock, nördliche Altstadt am 29. März 1985. Bis zum Jahresende sollten im Gebiet 586 Neubauwohnungen entstehen. Plattenbauweise, die sich in Fassaden- und Giebelgestaltung am traditionellen Baustil der norddeutschen Backsteingotik orientiert. Foto: Jürgen Sindermann/Bundesarchiv Bild 183-1985-0329-016 -
Rostock, nördliche Altstadt, Luftbild, entstanden am 16. Juni 1986. Im Mittelpunkt der Hornsche Hof, rechts davon die Wokrenter Straße mit rekonstruierten Altstadthäusern. Auf der Rückseite des Hornschen Hofs wurden später ebenfalls Wohngebäude in Montagebauweise errichtet. Foto: Jürgen Sindermann/ Bundesarchiv, Bild 183-1986-0616-017 -
Rostock, nördliche Altstadt, Luftbild vom 14. Februar 1989. Blick auf die nördliche Altstadt, im Vordergrund die als Fußgängerzone gestaltete Schnickmannstraße mit dem künstlerisch angelegten Wasserlauf, im Hintergrund die Hafenanlagen. Foto: Jürgen Sindermann/ Bundesarchiv, Bild 183-1989-0214-030 -
Nochmal nördliche Rostocker Altstadt aus der Luft, aufgenommen am 22. März 1989. Auf diesem Bild ist auch der Wittespeicher gut zu sehen, im Hintergrund wieder die Hafenanlagen. Foto: Jürgen Sindermann/ Bundesarchiv, Bild 183-1989-0322-010
Platte mit regionalen Motiven
Grundlage für die altstadttauglichen Plattenbauten war die neue Wohnbauserie WBR 83, die nach Aussage von Ingenieur Erich Kaufmann auch weniger Stahl und Zement benötigte, als die Vorgänger-Serien. WBR 83 erlaubte Lückenschließungen, sowie Hof- und Eckbebauungen und war variabel genug für das maßstäbliche Bauen in der Innenstadt. Aus vier Grundsegmenten ließen sich die vier- bis sechsgeschossigen, giebelartigen Wohnbauten zusammensetzen.
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Entwurf der Fassadengestaltung des WBS 83 für die Straße Am Hornschen Hof in der nördlichen Rostocker Altstadt durch das Kollektiv Erich Kaufmann. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984 -
Fassadenentwurf für die Schnickmannstraße in der nördlichen Rostocker Altstadt mit giebelständischen Wohnhäusern vom Typ WBS 83 durch das Kollektiv Erich Kaufmann. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984 -
In der nördlichen Rostocker Altstadt wurden größtenteils Zwei- und Dreiraumwohnungen errichtet. Die vier- bis sechsgeschossigen, giebelständigen Wohnbauten ließen sich aus vier Grundsegmenten der Serie WBS 83 zusammensetzen. Hier der Grundriss für Segment A im Normalgeschoss. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984 -
Das Segment 2 ist ein Eckgiebelsegment mit eingelagerter, kleiner gesellschaftlicher Einrichtung mit etwa 10 Varianten. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984 -
Segment 3, ein Reihengiebelsegment mit eingeordneter Behindertenwohnung im Erdgeschoss. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984 -
Segment 4: ein 26,40 m langes Reihensegment mit Dreiraumwohnungen, hier der Grundriss im Normalgeschoss. Graphik: Kollektiv Kaufmann in Architektur der DDR 11-1984
Zeichnungen und Pläne
Verantwortlich für das Gesamtprojekt zeichnete Oberingenieur Erich Kaufmann als Chefarchitekt des Wohnungsbaukombinats Rostock, Kombinatsbetrieb Forschung und Projektierung.
Der Städtebau entstand im Büro für Stadtplanung unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Rolf Lasch.
Generalauftragnehmer war das VEB Wohnungsbaukombinat Rostock, Kombinatsbetrieb 3.
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Plattenbau in Sonderanfertigung: das Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz in Rostock. Am Schnittpunkt von zwei Fußgängerachsen, der Kröpliner Straßen und der damals noch im Bau befindlichen Schnickmannstraße, sollte der Universitätsplatz Aufenthaltsqualitäten, sowohl für Einkäufer, als auch Restaurantbesucher erhalten. Foto: Sabine Schneller -
Insgesamt wurden hier 143 Ein– bis Fünfraumwohnungen in vier Bauabschnitten errichtet. In den fünf Giebeln sind Maisonette-Wohnungen untergebracht. Läden und Gastronomie befinden sich in den Erd-, Zwischen- und Kellergeschossen. Betonung des Universitätsplatzes durch Verwendung von Klinkerfassaden gegenüber den weiß verputzten Eckgebäuden zu den Seitenstraßen hin. Foto: Anja Thompson -
Die Giebel der fünf Gebäudeteile verspringen zueinander, was den Eindruck verstärkt, dass es sich um Einzelhäuser handele. Um in die Wohnungen zu gelangen, nutzen die Mieter zwei Fußgängerpassagen, die Eingänge zu den Wohnungen liegen auf der Hofseite. Foto: Anja Thompson -
Fensteraufteilung, Details im Giebelfeld, Erker und Vorsprünge - jedes der fünf Giebelhäuser hat seine eigene Fassadengestaltung. Die rationelle Serienfertigung wurde lediglich auf der Hofseite angewandt. Foto: Sabine Schneller -
In den fünf Giebeln sind Maisonette-Wohnungen untergebracht. Der zweite Giebel am Platz erhält eine leichte Betonung durch Verwendung von Weißflächen und Klinkerlisenen, sowie einigen Plastiken des Bildhauers Reinhard Dietrich. Foto: Anja Thompson -
Künstlerische Ausgestaltung mit Terrakottaobjekten am Fünfgiebelhaus – hier die Katze von Reinhard Dietrich. Foto: Anja Thompson -
Fassadendetail Wohn- und Geschäftsgebäude Kröpliner Straße, Ecke Breite Straße in Rostock, erbaut 1978-1980 nach einem Entwurf von Peter Baumbach und Erich Kaufmann. Foto: Sabine Schneller
Fünf Giebel am Universitätsplatz
Ein viel zitiertes Beispiel gelungener DDR-Architektur ist das Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz im Rostocker Zentrum: ein Plattenbau, dem man die Montagebautechnik so gar nicht ansieht. Obwohl das Fünfgiebelhaus häufig als Plattenbau bezeichnet wird, handelt es sich dabei allerdings um eine Mischbauweise. Keller-, Erd- und Zwischengeschoss entstanden überwiegend in Stahlbeton auf der Baustelle, die Fassaden wurden in Mauerwerk errichtet, die Obergeschosse montiert. Dabei sind die Fassaden der Straßenfronten als Baukastensystem in Ergänzung entwickelt worden, die Hoffronten wurden mit Elementen der Plattenbauweise montiert.
Historisch war die Nordseite des Universitätsplatzes von Bürgerhäusern aus unterschiedlichen Bauepochen geprägt. Im Jahr 1942 wurde die gesamte Nordseite durch Bomben zerstört. Die 1943 errichtete, eingeschossige Baracke wurde 1983 entfernt und diese Platzseite erst 1986 durch den Bau des Fünfgiebelhauses wieder hergestellt.
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Östliche Ecke des Fünfgiebelhauses am Universitätsplatz in Rostock, aufgenommen am 26. März 1989. Im Vordergrund der Brunnen der Lebensfreude, hinten die stalinistischen Bauten an der Lange Straße. Foto: Mischkolino -
Östliche Ecke des Fünfgiebelhauses am Universitätsplatz in Rostock, diesmal von leicht erhöhtem Blickpunkt, aufgenommen am 02. Mai 1986. Foto: Jürgen Sindermann/Bundesarchiv Bild 183-1986-0502-011 -
Wohn- und Geschäftsgebäude in der Kröpeliner Straße/Ecke Breite Straße in Rostock, erbaut 1978-1980 nach einem Entwurf von Peter Baumbach und Erich Kaufmann. Das Gebäude ist eines der ersten neo-historischen Gebäude aus Fertigteilen in der DDR. Links im Hintergrund die achtstöckigen stalinistischen Gebäude an der Langen Straße aus den späten 1950er Jahren. Foto: Mischkolino -
Wohn- und Geschäftsgebäude in der Kröpeliner Straße/Ecke Breite Straße in Rostock, neben rekonstruierten Altbauten, aufgenommen am 12. August 1983. Im Vordergrund wieder der Brunnen der Lebensfreude. Foto: Jürgen Sindermann/Bundesarchiv Bild 183-1983-0812-009 -
Fünfgiebelhaus, Grundriss Erdgeschoss. Graphik: Kollektiv Peter Baumbach/Architektur der DDR 12/1987
Erlebnis Einzelhaus
Für das Prestigeobjekt am Universitätsplatz schlugen die Architekten schon in der vorbereitenden Studie vor, die Formensprache der Plattenbauweise zu erweitern mit dem Ziel, einen gut gegliederten Innenstadtkomplex zu errichten. Einige Jahre zuvor hatten sie am Eckhaus Breite Straße/Kröpeliner Straße schon Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln können, die sie nun ausbauen wollten.
Die Verwendung von geschosshohen Schaftelementen, zurückgesetzten Brüstungen, sowie vorspringenden Erkern und Balkonen sollte die Wirkung der Vertikalfuge in der Ebene vermindern und insgesamt den Einzelhauscharakter betonen. Sowohl der Wechsel von Giebel- und Traufstellung bei den Dächern, als auch der Versatz der einzelnen Gebäudeteile zueinander trugen ein weiteres dazu bei. Wie wichtig die Qualität dieses Bauobjekts den Architekten war, zeigt sich bis in die kleinsten Details hinein: Professor Peter Baumbach entwarf sogar die Türklinken.
Quellen
Erich Kaufmann „Gedanken zum innerstädtischen Bauen in der
nördlichen Altstadt von Rostock“ in: Architektur der DDR 11/1984
Architektur der DDR 12/1987, Sonderheft Rostock